Der Indianer und der Wolf

Ein alter Indianer saß mit seinem Enkel am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten.

Der Alte sagte nach einer Weile des Schweigens: "Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend."

"Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?" fragte der Junge.

Da antwortete der Alte: "Der Wolf, den ich füttere."

Diese Geschichte habe ich schon in mehreren Varianten von anderen ErzählerInnen gehört. Die schriftliche Fassung stammt von http://www.ideenhochdrei.org/de/verein/kennenlernen/vision/

Die Ameise und der Esel

Einst fragte der Esel die Ameise: „Ameise, wie machst du das nur? Du schleppst die größten Lasten scheinbar mühelos. Du trägst Gewicht, das um ein Vielfaches schwerer ist als du selbst und scheinst dich nicht einmal anstrengen zu müssen. Ich trage auch Lasten! Meine Last wiegt vielleicht ein Viertel meines eigenen Gewichts und doch meine ich, darunter zusammenzubrechen. Ich bitte dich, verrate mir dein Geheimnis!“

Die Ameise antwortete: „Mein Freund, die Antwort ist ganz einfach. Ich suche mir meine Bürde selbst. Ich entscheide selbst, was ich tragen will und wohin ich laufe. Du hast einen Herrn, der dir Gewicht aufbürdet. Deshalb erscheint sie dir so schwer und wird zur Belastung. Es ist nicht deine eigene Last, die du trägst.“

 

Diese Geschichte erzähle ich gerne, wenn ich gefragt werde, warum ich meinen lukrativen und attraktiven Job in einer Bank an den Nagel gehängt und mich selbstständig gemacht habe.

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Der Tempel der tausend Spiegel

Es gab in Indien einenTempel. Er wurde "Tempel der tausend Spiegel" genannt. Er lag hoch oben auf einem Berg und sein Anblick war gewaltig.

Eines Tages hörte ein Hund von dem Tempel, man erzählte sich, dass jeder in diesem Tempel sich selbst und die Welt erkennen könnte. Der Hund suchte den Tempel und erklomm schließlich den Berg. Dann stieg er die Stufen des Tempels hinauf und trat durch das Tor.

Als er in den Saal hineinkam, sah er tausend Hunde. Er bekam Angst, sträubte das Nackenfell, klemmte den Schwanz zwischen die Beine, knurrte furchtbar und fletschte die Zähne. Und tausend Hunde sträubten das Nackenfell, klemmten die Schwänze zwischen die Beine, knurrten furchtbar und fletschten die Zähne.

Voller Panik rannte der Hund aus dem Tempel und glaubte von nun an, dass die ganze Welt aus knurrenden, gefährlichen und bedrohlichen Hunden besteht.

Einige Zeit später hörte ein anderer Hund von dem Tempel, auch er suchte im ganzen Land danach, fand schließlich den Berg und erklomm ihn. Der Hund stieg die Stufen hinauf und betrat den Tempel. Als er in den Saal trat, sah auch er tausend andere Hunde. Er aber freute sich. Er wedelte mit dem Schwanz, sprang fröhlich hin und her und forderte die Hunde zum Spielen auf.

Als dieser Hund den Tempel verließ, wusste er, dass die ganze Welt aus netten, schwanzwedelnden, freundlichen Hunden besteht, mit denen man herrlich spielen kann.

 

Diese kleine Geschichte aus Indien kenne ich in vielen Varianten und erzähle sie gerne auch im Alltag. Möge die Geschichte weiter wandern und in die Ohren und Herzen vieler Menschen gelangen!

Der Tod und das Knäckebrot

Es war einmal – oder war es nicht? Es muss doch etwas gewesen sein, wenn man davon erzählt: Es war einmal ein Mann und eine Frau, die hatten ein einziges Kind, einen Jungen. Arm waren sie. Der Mann plackte sich ab von früh bis spät, und doch konnten sie ihr Leben nur mit Müh und Not von einem Tag zum andern fristen.

Wie es war und wie es nicht war – eines Tages wurde der Mann krank. Seine Frau pflegte ihn, so gut sie konnte, sie arbeitete für zwei, aber dem Mann ging es immer schlechter.

„Ach“, sagte die Frau, „der Tod macht sich bereit. Was soll ich nur anfangen?“ Mutter und Kind wachten des Nachts bei dem Kranken. Der schlief. „Ach Mutter, wacht er nicht bald auf? Er schläft schon so lange?“ – „Ich weiß es nicht, mein Kind.“ Saßen sie eine Weile still; da sagt der Kleine: „Mutter?“ – „Ja?“ – „Hast du ein bisschen Knäckebrot?“ – „Ach nein, ich habe gar nichts im Hause. Bist du hungrig?“ – „Nein, aber wenn ich Knäckebrot knabbere, hört es der Vater vielleicht und wacht auf!“ – „Liebes Kind, wir wollen abwarten. Vielleicht morgen. Aber nun geh schlafen!“

Der Junge aber ging nicht zu Bett, er stahl sich aus dem Haus, nur das Nachthemd auf dem Leibe. Es war Winter und bitter kalt. Von Hof zu Hof ging er: „Liebe Leute, gebt mir ein Stück Knäckebrot! Mein Vater schläft. Ich muss ihn wecken.“ Aber wohin er auch kam – nirgends gab man ihm etwas: „Mach, dass du fortkommst! Jetzt ist nicht die rechte Zeit zum Betteln! Alle sind wir arm.“

Endlich kam er zu einem Hof, da gab man ihm ein Stück Brot. Aber das war weiches Brot: „Ach nein, das ist nicht das Richtige. Ich muss Knäckebrot haben, so dass mein Vater es hört, wenn ich knabbere. Vielleicht wacht er dann auf. Er schläft so fest.“ Und damit ging er weiter.

Bald war in allen Häusern des Dorfes gewesen und hatte doch nichts bekommen. Traurig wollte er schon nach Hause gehen, da entdeckte er noch ein Licht weit in der Ferne. Und frohen Mutes ging er darauf zu. Er fand ein kleines Häuschen und trat ein. Drinnen saß ein alter Mann und schärfte eine Sense.

„Guten Tag, lieber Mann!“ sagte er. „Guten Tag.“ – „Ach, was willst du denn mitten im Winter mit einer Sense. Jetzt gibt es doch nichts zu mähen?“ – „Meine Ernte reift im Winter wie im Sommer.“ – „Du musst ein sonderbarer Mann sein. Aber sag, willst du mir nicht ein Stückchen Knäckebrot geben? Mein Vater schläft so fest. Und wenn ich an einem Knäckebrot knabbere – vielleicht wacht er dann auf und will auch ein Stück haben.“ „So, so. Nun gut. Vor einiger Zeit kam eine alte Frau zu mir, die ließ diese Tüte mit Knäckebrot hier. Die kannst du nehmen.“ – „Aber was ist, wenn sie zurück kommt und ihre Tüte wieder haben will?“ – „Nein, die kommt nicht zurück“, sagte der Mann und blickte auf seine Sense. „Nimm sie nur. Und jetzt müssen wir gehen. Wir haben den gleichen Weg.“

Sie gingen, und bald waren sie zu Haus bei dem Kranken. Gleich kniete der Junge neben dem Vater nieder und fing an, an seinem Knäckebrot zu knabbern. Das knisterte und knackte, aber der Vater rührte sich nicht.

„Ach, lieber Ohm, nimm du doch auch ein Stückchen Brot und beiß ab! Vielleicht wacht er dann auf!“ Und der Tod nahm ein Stück Brot, setzte sich und aß. Das knisterte und knackte so herrlich lebendig im ganzen Zimmer. Der Sand in der Lebensuhr des Kranken aber rann und rann – und mit dem Sand zerrann seine Lebenszeit. Immer leerer wurde das eine der Gläser. Schon rannen die letzten Körner hinaus.

Der Tod aber hatte so damit zu tun, sein Knäckebrot zu knabbern, dass er ganz vergaß, just in dem Augenblick mit seiner Sense zuzuschlagen, als der letzte Sand aus dem Stundenglas rann, und da hatte er die rechte Zeit verpasst, wo der Kranke sterben sollte. Und nun hatte er keine Macht mehr über ihn, und er verschwand in die Nacht.

Und da, ganz allmählich erwachte der Mann. Sein Leben kehrte wieder zurück. „Mein lieber Junge. Wie gut sich das anhört, wenn du Knäckebrot knabberst“ sagte er. „Gib mir doch auch ein Stück.“ Nur zu gern brach der Junge ein Stück von dem Brot ab und gab es dem Vater, und glücklich knabberten und aßen sie miteinander. „Siehst du, Mutter, hab ich nicht recht gehabt? Der Vater ist aufgewacht! Jetzt isst er schon wieder von dem guten Brot!“

Und damit ist mein Märchen zu Ende.

 

Roma-Märchen aus Schweden

Ich nach Walpe, du nach Walpe

Märchen der Brüder Grimm

(Kinder- und Hausmärchen Nr. 140, "Das Hausgesinde", von mir behutsam ins Hochdeutsche gebracht)

»Wo willst du hin?« - »Nach Walpe.« - »Ich nach Walpe, du nach Walpe; sam, sam, goh wie dann.«

»Hast du auch 'n Mann? Wie heißt dein Mann?« - »Cham.« - »Mein Mann Cham, dein Mann Cham: ich nach Walpe, du nach Walpe; sam, sam, goh wie dann.«

»Hast du auch 'n Kind? Wie heißt dein Kind?« »Grind.« - »Mein Kind Grind, dein Kind Grind: mein Mann Cham, dein Mann Cham: ich nach Walpe, du nach Walpe; sam, sam, goh wie dann.«

»Hast du auch 'ne Wiege?« - »Hippodiege.« - »Meine Wiege Hippodiege, deine Wiege Hippodiege: mein Kind Grind, dein Kind Grind: mein Mann Cham, dein Mann Cham: ich nach Walpe, du nach Walpe; sam, sam goh wie dann.«

»Hast du auch 'n Knecht? Wie heißt dein Knecht?« - »Machmirsrecht.« - »Mein Knecht Machmirsrecht, dein Knecht Machmirsrecht: meine Wiege Hippodiege, deine Wiege Hippodiege: mein Kind Grind, dein Kind Grind: mein Mann Cham, dein Mann Cham: ich nach Walpe, du nach Walpe; sam, sam, goh wie dann.«

Dieses kleine Kettenmärchen lieben Kinder! Man kann es fast mit ihnen singen, es lebt vom Rhythmus und der Sprachmelodie. Und Selbstgespräche kennen wir doch alle...

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